Ortswein in frisch – Relaunch

Der pfälzische Rückkehrer-Riesling war uns dann doch nicht genug und wir haben ein weiteres Fläschchen aufgeschraubt, das unseren Erdungswillen vor der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeiten weiter unterstützen sollte:

2016er Riesling – Osthofen – Familienbande – trocken – Qw, Karl May, Rheinhessen

Ein helleres Strohgelb im Glas, das Bukett zeigt anfangs etwas verhalten und mit steigender Temperatur deutlich zunehmend Schießpulver und 400er Naßschleifpapier, dahinter kann man diffus was Zitroniges erahnen, wobei sich mit Luft einige Pomelozesten in den Vordergrund drängen. Am Gaumen dann schon etwas mehr Schub, Zitronen und Limetten sind recht agil, später auch Pampelmusen, die Säure ist frech und fast ungestüm, kratzt auch leicht, aber nicht unangenehm am Zäpfchen; die Mineralik wirkt etwas rustikal wie auf einer Baustelle, auf der ständig mit Beton herumgepanscht wird. Der schön lange Nachhall ist dann vergleichsweise sanft, aber doch recht frisch; hier spielt eine leicht reduktive Zitrone die erste Geige.

Im Vergleich zum vorher vernichteten Riesling wirkt dieser Rheinhesse deutlich eindimensionaler, objektiv und für sich betrachtet aber ein sehr schöner, vor allem sehr erfrischender Riesling ohne irgendwelche Störfaktoren. Aber es ist halt doch alles ein bißchen einfacher gestrickt als beim oben verlinkten Referenzriesling des Abends, ka… daher heute leider etwas ab…

Meine Wertung: Nachkauf 1 von 3, Gesamt 18 von 25

Nachtrag nach 24 Stunden mit Luft: die Nasenmineralik hat sich intensiviert, verdrängt damit allerdings die Agrumen ein bißchen, die Pomelo bleibt hier aber bestimmend. Auch am Gaumen legt alles einen Zahn zu, dennoch fügen sich die Bestandteile nun etwas besser zusammen. Der Abgang ist nicht mehr ganz so sanft, was dem Gesamteindruck aber nicht schadet. Insgesamt ein schöner Satz nach vorne, Zunahme von Harmonie und Frische zu gleichen Teilen…

Meine Wertung: Nachkauf 2 von 3, Gesamt 19 von 25

Nachtrag nach 48 Stunden mit Luft: in der Nase jetzt deutlich Torf, matschiger Pfifferling und süßliches Totholz, etwa so wie bei reiferen Silvanern. Die gleiche Entwicklung auch am Gaumen, dazu ein holziges Bitterchen, nach wie vor eine schöne Säurestruktur. Wirkt jetzt ein bißchen morbide, allerdings auf eine durchaus angenehme Art. Solch eine Entwicklung hätte ich jetzt von einem rheinhessischen Riesling nicht erwartet…

Nachfolgend der Text der Verkostung vom 23. Mai 2018:

Aktuell haben mich ein paar eigene sowie fremde Erfahrungen bzw. auch Diskussionen erreicht, bei denen eine gewisse „Mainstreamigkeit“ incl. solcher Charakeristika wie „zuckerschwanzig“, „plakativ fruchtig“ etc. bei Weinen der Ortsweinklasse, und zwar gerade auch bei Erzeugern, die in den höheren Ligen solche „etwas beliebigen“ Weine nicht im Programm haben. Ich habe als mögliche Erklärung angeführt, daß auch bei manchem renommierten Erzeuger die Basisweine eher dem Massengeschmack angedient werden, weil man vielleicht davon ausgeht, daß die „Nerds“ (wie ich) vorzugsweise bei der oberen Spitze der Qualitätspyramide zugreifen. Dem ist aber zumindest in meinem Fall nicht so. Ich freue mich auch über etwas einfacher gestrickte Weine, die dennoch weder in der Banalität versinken oder -aus meiner Sicht- schon anstrengend wirken (z.B. aufgrund mangelhafter Säurestruktur). In der Hoffnung, eines der positiveren Beispiele in der Hand zu haben, habe ich heute den

2016er Riesling – Osthofen – Familienbande – trocken – Qw, Karl May, Rheinhessen

geöffnet.

Die Farbe ist ein dunkleres Strohgelb, die Nase wird mit einigen Feuerstein- und Phosphornoten bedacht, in zweiter Linie dann frische Zitrusfrucht: Zitrone, Limone, Pomelo. Geschmacklich ist die Zitrusseite deutlich präsenter, hier kommt noch etwas Pomeranze dazu. Dazu ordentlich Säure, die jedoch nicht zu mimischen Entgleisungen führt; Flint und sonstige, leicht herbe Steine spielen auch mit, hier aber in der zweiten Reihe. Der Abgang ist von ordentlicher Länge, dabei sehr frisch und zitrisch, auch hier stehen Extrakt und Säure in einem schönen Verhältnis zueinander.

Sehr schön gemachter, frisch-mineralischer Riesling, ausgewogen und doch mit einiger Spannung, nicht mainstreamig, aber meiner Meinung nach doch konsensfähig. So stelle ich mir einen guten Ortswein vor.

Meine Wertung: Nachkauf 2 von 3, Gesamt 18 von 25

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