Lieblingswein? – Relaunch – Nachtrag

Aufgrund eines nicht näher zu erläuternden Ereignisses wurde ich getriggert, mal wieder einen meiner älteren Werlitsche anzutesten; gedacht, getan:

2010er [Cuvée] – Ex Vero II – trocken – Landwein Steirerland, Werlitsch, Südsteiermark

Ein ziemlich dunkles Messing zeigt sich, ganz minimal trüb. Fürs Näschen gibt’s anfangs einen dichten Mix aus gelben und orangen Agrumen mit hälftigem Zestenanteil plus Tamarinde, nach und nach kommen Bergamotte, Roiboos- und Jasmintee auf, mit steigender Temperatur dann auch noch reduktives, leicht fermentiertes Obst wie Kaki und Physalis, mit noch mehr Kelvins auf dem Buckel zeigen sich dann auch die zuerst schlafenden, weißen Tannine sowie auch leicht oxidative Noten auf der Fruchtseite. Am Gaumen deutlich niederviskoser als nasal angekündigt, eine superklare, straffe Säure zeigt erstmal klar, wo’s lang geht, dann fächern sich die o.g. Agrumen mit höherem Spaltenanteil auf, die Gerbstoffe drehen auch langsam, aber sicher am Regler, bis leicht weißer Rauch aufsteigt, irgendwann bildet sich auch ein kleiner Mikrofaserpelz aus. Auch der Abgang fängt erst mal relativ harmlos an und bietet auch paar grüne Noten der kürzlich kennengelernten Bilimbi, nach und nach entwickelt sich hier ein bißchen saures Karamell als Kontrapart ohne der gehörigen Frische die Butter vom Brot zu nehmen, im Finale dann weißer Tee mit Brennessel und einem Hauch trockenem Erikahonig.

Da ich dem „Ex 2“ beim letzten mal ja eine ziemlich hohe Bewertung gegeben habe, lag auch eine gewisse Erwartungshaltung vor bzw. ebenso die Befürchtung, daß der Zenit nach nunmehr über 12 Jahren schon überschritten sein könnte, zumal das wenig bis ungeschwefelte Naturzeugs ja gerne mal zur Bildung von Ethylacetat aka Kleberaromatik neigt, diesbezüglich hier jedoch komplette Fehlanzeige. Anfangs dachte ich schon, daß das wohl nix mehr mit der „24“ wird, aber mit Luft und Wärme nimmt der Wein immer mehr Fahrt auf, wobei das Ganze aber nie in Fülle abgleitet sondern stetig an Komplexität zunimmt. Fazit ist, daß bei dieser Flasche zwar der Korken schon leicht marode war, der Wein aber gerade mal im besten Alter angekommen ist und lediglich ein paar Stunden Anlauf braucht, um wieder mal ganz knapp vor dem Weinoptimum zu landen. Bei einem trotz aller Komplexität insgesamt aber doch eher filigranem Wein wird so eine „Überdrüberwertung“ wahrscheinlich nicht allseits auf Zustimmung stoßen, aber mein persönliches Großartigkeitsempfinden läßt mir leider keine andere Wahl…

Meine Wertung: Nachkauf 3 von 3, Gesamt 24 von 25

Nachtrag nach 24 Stunden mit Luft: Im Wesentlichen zeigt sich heute noch etwas leicht angemostete Maracuja, was den Ex Vero II spürbar mehr ins Naturweinige zieht, alles andere läßt sich nach wie vor ebenso finden, wenn auch nicht bei jedem Schluck alles auf einmal, kein qualitativer Abschlag.

Nachfolgend der Text der Verkostung vom 6. August 2020:

Wenn man mich nach meinem Lieblingswein bzw. -winzer fragen würde, würde ich vermutlich antworten, daß ich keinen hätte, da mir die Vielfalt im Wein viel wichtiger ist als die Konzentration auf ein paar Lieblinge. Wenn ich mir allerdings so anschaue, an wen ich meine Top-Bewertungen so vergeben habe, dann zeigt sich klar eine Häufung bei einem steirischen Weingut und das heißt Werlitsch. Deshalb heute einfach mal ein „Lieblingswein“:

2010er [Cuvée] – Ex Vero II – trocken – Landwein Steirerland, Werlitsch, Südsteiermark

Farblich ein dunkleres Messing, ganz leichte Trübung. Beim Bukett habe ich im Wesentlichen Folgendes gefunden: Roiboos- und Earl Grey-Tee, grüne Walnuß, Reneclaudenkompott, Sauerteig, Essigbaum, anfermentierte Tamarinde, „saure Pommes“ und ebensolche Mangos, bemooster Tuffstein, etwas Nougat, stark reduzierte Kaki, weiße Johannisbeeren, saures Lakritz; vieles davon kommt und geht mit Luft und Temperatur. Am Gaumen findet sich das meiste ebenso, der erste prägende Eindruck ist hier aber ein ganz eigener, weißer Gerbstoffnebel, der einen hypersamtigen Mikrofaserpelz aufbaut und quasi das aromatische Fundament bildet, auf dem sich dann die vielen Aromenfetzen ausbreiten, wobei ergänzend noch Koriandersaat, Jostabeere, Kerbel sowie grüne Mandel aufploppen und teils auch wieder verglühen; dazu eine äußerst charmante wie potente Säure, die das Ganze ohne jedes geschmackliche Loch schön niederviskos hält. Der sehr lange Abgang ist dann der fast „normalste“ und auch burgundischte Teil, allerdings noch weit vom „klassischen“ Burgunder entfernt (zum Glück).

Wenn statt dem fast abturnend altmodischen Werlitsch-Etikett (ab dem folgenden Jahrgang wurde es deutlich modernisiert) eins von einem preislich dreistelligen, innovativen Meursault draufkleben würde, würd ich auch nicht meckern. Daß dabei nur 10 % Chardonnay im Spiel sind und die dominante Rebsorte eigentlich Sauvignon blanc ist, schmälert die gefühlte Nähe zum Burgund aus meiner Sicht gar nicht. Schmeckt übrigens in keinster Weise nach einem gereiften Wein, der Ex Vero II ist mit seinen 10 Jahren jetzt gerade mal erwachsen geworden, aber noch nicht unbedingt „in den besten Jahren“. Für mich ist es vor allem hochspannend, wie sich der Wein mit Luft und steigender Temperatur -von ca. 7 °C am Anfang bis zur empfohlenen Trinktemperatur laut Etikett und darüber hinaus- ständig wandelt und mich entsprechend fordert, übrigens ein Merkmal vieler Werlitsch-Kreationen, wohl deshalb triggern die mich so sehr. Wobei mir schon klar ist, daß es auch Leute gibt, denen solche Weine zu unruhig sind (Zitat: „der Wein weiß nicht, was er will“), macht aber nix, bleibt mehr für mich…

Meine Wertung: Nachkauf 3 von 3, Gesamt 24 von 25

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