WRINT – Da ist Musik drin! – incl. Nachträgen

Diesen Mittwoch erneut eine WRINT-Online-Verkostung, diesmal mit Weinen des Pfälzer Winzers Sven Leiner (vom Weingut Jürgen Leiner), der für den Weinhändler Viniculture eine Reihe mit Weinen aus der Naturecke vinifiziert. Die drei Flaschen in drei Farben -weiß, orange, rot- tragen jeweils Namen eines schon etwas älteren Musikstücks, die Etiketten wurden dementsprechend Labels von den guten alten Vinyl-LP’s nachempfunden. Näheres dazu bei den einzelnen Weinbeschreibungen:

Prolog:

Zum Aufwärmen in der Wartezeit bis zum Start des Podcasts gab’s erst mal ein Versuchskaninchen:

Wein A: 2019er Silvaner – Würzburger – trocken – [Ortswein], Juliusspital, Franken

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Diesen Silvaner habe ich in den letzten Jahren recht regelmäßig zu Beginn des Erscheinens der neuen Jahrgänge probiert, um im Vergleich so ganz grob die Richtung zu erkennen. War diesmal nicht mein erster 19er, aber ich bin dennoch gespannt auf das Ergebnis:

Farblich ein helleres Strohgelb, in der Nase noch etwas dropsig nach leicht cremigen Äpfeln und Birnen, im Ansatz auch Kaktusfeige. Am Gaumen ähnlich, wirkt auch hier angecremt trotz eigentlich ordentlicher Säure, den Muschelkalkeinfluß kann ich nur beschränkt ausmachen. Schön langer Abgang, kommt aber auch nicht aus der Creme-Ecke heraus.

Wirkte auf uns eher wie ein Weißburgunder, immerhin zeigte sich die Säure einigermaßen potent und gegenüber dem 16er sowie 17er sehe ich Fortschritte, steht aber etwas hinter dem 18er, was für die Jahrgangsprognose eigentlich kein gutes Zeichen ist. Ich habe aber den leisen Verdacht, daß die Guts- und Ortsweine des Juliusspital -ähnlich wie bei einigen anderen fränkischen Weingütern auch- mittlerweile mehr auf den berüchtigten Massengeschmack getrimmt sind. Nur mit Jahrgangsunterschieden kann ich mir dieses „Durchsacken zum Weichgespülten“ über nun schon ein paar Jahre nicht erklären. Wahrscheinlich werde ich in Zukunft ganz die Finger von den unteren Ebenen dieses Gutes lassen.

Meine Wertung: Nachkauf 1 von 3, Gesamt 16 von 25

1. Nachtrag nach 24 Stunden mit Luft: fruchtseitig wenig Änderung, das Dropsige hat sich reduziert, ein bißchen gelbes Maoam bleibt aber. Am Gaumen kaum Bewegung, trotz der ganz aparten Säure kommt der Silvaner nach wie vor etwas behäbig daher, die Mineralik erschöpft sich in etwas Speckstein, ganz dezent was Kräuteriges in Richtung Beifuß. Auch der Abgang ist immer noch mit angezogener Bremse unterwegs.

2. Nachtrag nach 4 Tagen mit Luft: Ich habe die Flasche tatsächlich vergessen und vorhin bin ich wieder drüber gestolpert, also noch ein Kurztest: eigentlich noch genauso wie vor 3 Tagen, nur ein leichtes grünes Bitterchen schwingt beim Abgang mit. Aus der Beliebigkeit zieht das den Wein allerdings nicht heraus…

Drama:

Jetzt geht die Party richtig los:

1. Wein: 2019er [Cuvée] – Bitches Brew – trocken – Deutscher Perlwein, [Jürgen Leiner], Pfalz

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Bitches Brew“ ist ein Jazz-Rock-Album von Miles Davis aus dem Jahr 1970 (auch ein Stück darauf heißt so, s.u.), welches damals viele Jazz-Fans gründlich vor den Kopf gestoßen hat. Es ist nicht das erste Album dieses Genres, aber wohl doch das, welches in der Zeit den meisten Wirbel erzeugt und die Jazz-Rock- / Fusion-Bewegung nachhaltig angetrieben hat. War übrigens mit eines der Alben, die mich persönlich in meiner musikalischen Findungsphase am meisten geprägt haben.

Dies ist eine Cuvée aus Sauvignac (kein Schreibfehler, ist eine PiWi-Kreuzung aus Sauvignon blanc × Riesling!), Scheurebe und Silvaner, vinifiziert von Sven Leiner als Sonderabfüllung für Viniculture, abgefüllt in Duttweiler, wohl durch den Lohnversekter Gschwindt.

Ein helles Zitronensaftgelb im Glas, sehr mäßiger Blubber, hält aber durch. Ziemlich verhalten in der Nase, am Gaumen auch sehr reduziert, ein bißchen wie Almdudler „extra light“ (also ca. 10-fach verdünnt), dezente Fruchtsüße, ein paar Kräuterchen, schöne Säure, leichtes Kalkbett. Der Abgang ist zwar relativ lang, aber auch hier bleibt wenig Substanz zurück.

Hat zwar eine sehr schöne Struktur, aber irgendwie ist mir doch zu wenig drin bei dem Preis und ich mag mir die Kargheit dieses PétNat nicht schönreden…

Meine Wertung: Nachkauf 1 von 3, Gesamt 16 von 25

2. Wein: 2018er Riesling – [Ilbesheimer Kalmit] – Delight – trocken – Pfälzer Landwein, [Jürgen Leiner], Pfalz

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„Rapper’s Delight“ ist ein Rap-Song der Sugarhill Gang aus dem Jahr 1979 und gilt als Initialzündung des Hip-Hop, zumindest war es der erste kommerziell erfolgreiche Song dieses Genres.

Die Farbe ist ein helles Bernstein, riecht nach leicht angeholztem, vanilligem Steinobst wie Mirabelle und Weinbergspfirsich, später auch Orangenzesten und Mandarine, mit viel Luft auch was blumiges aus der Kamelienecke. Am Gaumen dann Zanzibar-Ananas in hochreifer Form, etwas Hustensaft (bzw. damit assoziierbare Kräuter) und Thymianhonig, weiters eine deutliche, aber eher elegante Säure, untendrunter eine Kalksuspension; auch hier eine drastische Zunahme der orangen Agrumen über die Zeit. Recht langer Abgang mit schöner Balance der Kräfte.

Aus meiner Sicht ein geglücktes Orange-Riesling-Experiment, zwar als solcher kaum erkennbar, aber das muß auch nicht sein; bei sowas spielt eher die Handschrift des Winzers eine Rolle, ein „Terroir-Wein“ ist halt was gänzlich anderes.

Meine Wertung: Nachkauf 2 von 3, Gesamt 20 von 25

Nachtrag nach 24 Stunden mit Luft: das Bukett ist nun etwas filigraner, das Holz steht dabei insgesamt mehr im Vordergrund. Am Gaumen wirkt der Wein trotz erstarkter Säure etwas fluffiger, die Zitrusseite wird um Limette und Zitrone ergänzt. Der Nachhall hat ebenfalls an Samtigkeit zugelegt, was die Spannung insgesamt aber nicht mindert.
Hat sich schön weiter entwickelt, nicht unbedingt nach oben, aber auf gleichem, hohem Niveau zur Seite…

3. Wein: 2019er [Spätburgunder] – Voyage Voyage – trocken – Pfälzer Landwein, [Jürgen Leiner], Pfalz

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„Voyage Voyage“ ist ein sogenannter Hi-NRG-Song (Abk. „High Energy“) der französischen Sängerin Desireless, der Ende 1986 erschien und vor allem in Europa höchst erfolgreich war.

Die Farbe ist ein recht knalliges Himbeerrot mit hoher Transparenz. In der Nase anfangs ein leichter Stinker, etwas Hasenstall, dann Sauerkirsche, auch leicht Moncherie-Kirsche ohne Süße, weiters etwas Kautschuk bzw. Heftpflaster. Am Gaumen dann leicht kitschige und gleichzeitig reduktive Kirschen im positiven Sinne, schöne, leicht angecremte Säure, etwas Specksteinig-Kalkiges als Basis. Superlanger Abgang mit sehr reduzierter und doch irgendwie leicht plakativer Kirsche bzw. Waldhimbeere und ein bißchen Krankenhaus.

Irgendwie überhaupt kein Spätburgunder, bringt auch einige plakative Aromenfetzen mit, die aber dennoch recht ernsthaft rüberkommen; macht „trotzdem“ Spaß!

Meine Wertung: Nachkauf 2 von 3, Gesamt 20 von 25

Nachtrag nach 24 Stunden mit Luft: farblich leicht nachgedunkelt, in der Nase jetzt auch ansatzweise ein bißchen was Waldiges neben dem Heftpflaster. Am Gaumen macht sich lediglich die Säure etwas deutlicher bemerkbar, auch der Nachhall hallt nun etwas frischer und auch kantiger.

Epilog:

Im Nachgang haben wir noch zwei bei uns offen rumstehende Weine vom Vortag probiert, und zwar einen edleren Pfälzer Weißburgunder sowie einen recht freakigen Franzosen, was ebenfalls viel Spaß gemacht und die vorhergehenden Weine qualitativ noch deutlich getoppt hat.

Fazit:

Hat -wie eigentlich immer- ordentlich Spaß gemacht, auch wenn der Anfang weintechnisch ein bißchen holprig war. Jedenfalls hatte ich während der PétNat-Verkostung schon ein paar leise Zweifel, was da qualitativ noch kommen mag. Aber Riesling und Spätburgunder waren dann richtig schön, auch wenn’s in keinster Weise typisch war. Oder vielleicht gerade deswegen? Wichtigste Erkenntnis des Abends (auch wenn die nicht gerade neu ist): offen sein auch für die Sachen, die man nicht so kennt bzw. sich klar neben der eingefahrenen Spur bewegen. Da geht vielleicht das ein oder andere mal was in die Hose, insgesamt bereichert das den eigenen (Wein-) Horizont aber ungemein!

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